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Apotheker oder Krankenkassen: Wer trägt das Inkassorisiko für Zuzahlungen? – Apothekenrecht

Insbesondere zu Zeiten der Praxisgebühr stellte sich die Frage, wer das Risiko zu tragen hatte, wenn eine Gebühr nicht eingebracht wer-den konnte: der behandelnde Kassenarzt oder die Kasse des jeweiligen Patienten. Für die Praxisgebühr hat sich diese Fragestellung mit der Abschaffung erledigt. Dieselbe Frage besteht jedoch bei Zuzahlungen von Kassenpatienten an Apotheker. 

Das Inkassorisiko für Zuzahlungen ist insbesondere dann von wirtschaftlicher Bedeutung, wenn ein Apotheker die von ihm zu liefernden Arzneimittel nicht direkt an den jeweiligen Patienten abgibt und deshalb von seinem Leistungsverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen kann, bis die an-fallende Zuzahlung bezahlt ist. 

Ein typischer Fall: Eine Zytostatika herstellende Apotheke liefert aufgrund einer ärztlichen Verordnung die verschriebenen Arzneimittel – apotheken-rechtlich korrekt – statt an den Patienten zur direkten Anwendung durch den Onkologen in dessen Praxis. Der Apotheker ist dann nicht in der Lage, die gesetzliche Verpflichtung direkt zu erfüllen, nämlich die Zuzahlung von dem belieferten Patienten zu kassieren, die der Patient für die jeweilige Arzneimittellieferung zur Entlastung seiner Kasse zu entrichten hat. Der Apotheker muss an den jeweiligen Patienten also nachträglich eine Rechnung über die fällige Zuzahlung stellen. Je Lieferung und Patient handelt es sich typischerweise um Beträge zwischen 5 bis 15 Euro. 

Zahlungsausfälle belasten den Apotheker

Aufgrund der Häufigkeit dieser Fälle insbesondere für Zytostatika herstellende Apotheken belasten Zahlungsausfälle den liefernden Apotheker so-wohl finanziell als auch zeitlich in erheblichem Umfang. Deshalb ist vor-dringlich zu klären, ob und wann sich der liefernde Apotheker statt an den von ihm belieferten Patienten an dessen Krankenkasse wenden kann.

Einschlägig ist die Regelung des § 43 b Abs. 1 SGB V. Nach dessen Satz 1 sind medizinische Leistungserbringer wie Apotheker verpflichtet, Zuzahlungen, welche die versicherten Patienten zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen. In Satz 2  heißt es dann im Wortlaut :

„Zahlt der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, hat die Krankenkasse die Zahlung ein-zuziehen.“

Diese Regelung ist nach Gesetzesgeschichte sowie Rechtsprechung und Literatur folgendermaßen auszulegen: Nach Satz 1 hat der Leistungserbringer, wie im vorliegenden Fall der liefernde Apotheker, einen gesetzlichen Inkassoauftrag. Lässt sich dieser Inkassoauftrag nicht bereits bei Lieferung Zug um Zug erledigen, hat sich der Leistungserbringer aktiv um den Einzug der Zuzahlung zu bemühen, indem er den versicherten Patienten schriftlich auffordert, die Zuzahlung zu erbringen. Dabei ist eine Fristsetzung angezeigt, um feststellen zu können, wann der Leistungserbringer bzw. Apotheker von der Einzugsverpflichtung frei wird. 

Einziehungspflicht geht auf Krankenkasse über 

Die gesetzliche Regelung verdeutlicht zum einen, dass der Leistungserbringer die Gewährung seiner Leistung gegenüber dem versicherten Patienten nicht von der Leistung der Zuzahlung abhängig machen kann oder muss. Zum Anderen stellt die vorstehende gesetzliche Regelung klar, dass nach erfolgloser Zahlungsaufforderung die Einziehungspflicht ohne Inkassorisiko für den Apotheker auf die jeweilige Krankenkasse des belieferten Patienten übergeht. Zugleich erlischt die Verpflichtung des Apothekers, die Zuzahlung, zu der der belieferte Patient verpflichtet war, mit dem Erstattungsanspruch des Apothekers gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen. Eine Regelung, dass die betroffenen Krankenkassen einem solchen Vorgehen zuvor zustimmen müssten, ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Zur praktischen Umsetzung

Angesichts der klaren gesetzlichen Regel sollten sich die betroffenen Apotheker nicht scheuen, von ihr Gebrauch zu machen. Die Apotheker müssten dazu ihre Mahnschreiben an die säumigen Kassenpatienten (mit der dort enthaltenden Fristsetzung) den jeweiligen Krankenkassen  in Kopie übersenden. In einem Begleitschreiben müssten die Apotheker zugleich versichern, dass die Zahlungsfrist für die Zuzahlungen fruchtlos abgelaufen ist. Weiterhin müssten die betroffenen Apotheker mitteilen, dass sie daraufhin gemäß § 43b SGB V ihr Rechenzentrum anweisen werden, den Zahlungsanspruch für die gelieferten Arzneimittel in Höhe der ausgebliebenen Zuzahlung geltend und dazu die bisherige Verrechnung der Zuzahlung mit den Forderungen für Arzneimittellieferungen mit der nächsten Monatsrechnung rückgängig zu machen. Diese Schreiben müssten die betroffenen Apotheker dann in Kopie an ihr Rechenzentrum schicken mit der Weisung, entsprechend zu verfahren. 

Ausnahmen der Inkassoregelung

Zu beachten ist allerdings, dass die vorstehende Regelung nicht für folgende Leistungen und das damit verbundene Inkassorisiko des Apothekers gilt:

  • Generell Hilfsmittellieferungen (§ 33 Abs. 8 SBG V), obwohl sich die Situation des Apothekers zum Beispiel bei Lieferungen an Heimbewohner im Rahmen eines Heimbelieferungsvertrags von derjenigen bei Lieferung von Arzneimitteln nicht unterscheidet
  • Lieferung von Arznei- und Hilfsmitteln zu einem Preis über den Festbetrag hinaus (vgl. §§ 31 Abs. 2, 33 Abs. 7 SBG V)

Für Zahnärzte und Ärzte gilt außerdem, dass sie das Inkassorisiko für Kostenanteile, die von den versicherten Patienten im Rahmen ihrer Eigenverantwortung zu tragen sind und für die den Ärzten eigene Vergütungsansprüche gegen die versicherten Patienten zustehen, im Hinblick auf folgende Leistungen selbst tragen müssen: 

  • Zahnersatz, aufwendigerer Zahnersatz und/oder aufwendigere Füllungen (vgl. §§ 28 Abs. 2 S. 2 - 5, 55 Abs. 4 und 56 SGB V)
  • kieferorthopädische Behandlungen (vgl. § 29 Abs. 3 S. 1 SBG V)
  • künstliche Befruchtung (vgl. § 27 a Abs. 3 S. 3 SBG V).

Resumée:

Vielen Apothekern war womöglich bis heute nicht bekannt, dass sie für die Zuzahlungen, die sie von den belieferten Patienten einzuziehen haben, kein Inkassorisiko tragen, sondern dass dieses nach einem erfolglosen Einziehungsversuch durch den jeweiligen Apotheker auf die Krankenkassen der belieferten Patienten übergeht. Eine solche Unkenntnis sollte nach dem vorstehenden Beitrag nicht mehr bestehen.  

Dr. Johannes Kevekordes
Rechtsanwalt und Notar

Für kompetente Beratung im Apothekenrecht

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